Für die Zeitschrift Filmdienst wurde ich kürzlich um diesen Beitrag gebeten. Es ist kein „Best of“. Sondern eine sehr persönliche Liste von Filmen, die mir etwas bedeuten.
Heimat von Edgar Reitz
Heimat ist Heimat. Auch für mich. Die 31teilige Familiensaga von Edgar Reitz erzählt in abwechselnden Farb- und Schwarzweißbildern vom Schicksal einer Hunsrücker Familie im zwanzigsten Jahrhundert. Eine deutsche Chronik des Faschismus, des Jugendaufbruchs der 60er und des Untergangs traditioneller Lebensformen, mäandernd entlangerzählt an den Biografien kleiner Leute. Heimat war für mich als Teenager ein Stück Erwachsenwerden. Lange Fernsehabende mit meiner Familie. Das Gefühl, eine gemeinsame Geschichte zu haben, mit allen Licht- und Schattenseiten. Die Hassliebe zur Provinz. Die Sehnsucht nach dem flirrenden Leben da draußen in der Metropole. Das Filmepos gehört zum Besten, was je in deutscher Sprache gedreht wurde.
Boys don’t cry von Kimberly Peirce
Meine stärksten Kinoerlebnisse hatte ich als Jugendlicher mit melodramatischen Filmen. Kino als Katharsis. Kino als Ort überlebensgroßer Botschaften, die mich nachts wie in Zeitlupe das Fahrrad nach Hause schieben ließen, mit dem festen Vorsatz: Ab morgen lebe ich anders, ehrlich und intensiv. Boys don’t cry ist so ein Melodram, eins von der richtig guten Sorte: Brandon Teena ist ein strahlender junger Mann im Körper einer Frau. In der bierseligen und homophoben amerikanischen Provinz spielt er ein gefährliches Camouflage-Spiel mit bösem Ausgang. Einer von den Filmen, die einen das Leben wertschätzen lassen, weil man im sicheren Kinosessel seine Zerbrechlichkeit durchlebt hat.
Sein und Haben von Nicolas Philibert
Ich bin Lehrerkind, habe wichtige Lebenszeit in Schulen verbracht, und irgendwie zieht es mich auch filmisch immer wieder dorthin. Vielleicht ist Sein und Haben deswegen einer meiner liebsten Dokumentarfilme. Doku-Altmeister Nicolas Philibert beobachtet den charismatischen Lehrer einer kleinen französischen Dorfschule durch sein letztes Schuljahr vor der Pensionierung. Ein stiller, subtiler Film über die kleinen Dramen des Alltags – nur der Lehrer, die Kinder und der Wechsel der Jahreszeiten. Einer der Streifen, mit denen mein Weg in den Dokumentarfilm begann.
Halbe Treppe von Andreas Dresen
Ein Kultfilm meiner Clique an der Filmhochschule. 2004 schloss sich Andras Dresen mit einer Handvoll Schauspieler, einem winzigen Team und einer Mini-DV-Kamera für ein paar Wochen in Frankfurt an der Oder ein und drehte eine improvisierte Komödie über zwei befreundete Paare in der Midlifecrisis. Für uns war Halbe Treppe immer der Beleg dafür, dass es beim Filmemachen zuerst auf die Energie zwischen Menschen ankommt und dann erst auf die Technik. Halbe Treppe befeuert bis heute meine Sehnsucht nach einem leichtfüßigen, spontanen und direkten Filmemachen.
Judgement in Hungary von Eszter Hajdú
Bei den Dreharbeiten zu Der zornige Buddha war dieser Film in meinem geistigen Reisegepäck – er spielt in der selben Region Ostungarns, auch er handelt von der Situation der Roma-Minderheit. Vor einigen Jahren hatte eine Neonazibande dort mehrere Roma ermordet. Eszter Hajdú hatte ungehinderten Zugang zur gesamten Gerichtsverhandlung, und sie war an jedem der 167 Prozesstage anwesend. In den zermürbenden Befragungen vor einer immer leereren Tribüne schält sich der spröde, bissige Richter ganz langsam als der eigentliche Held heraus: Ein Wahrheitsfanatiker, ein Archetyp, der die Hoffnung verkörpert, dass es doch irgendwo Gerechtigkeit gibt. Und Menschen, die sie durchsetzen. Eszter Hajdú hat sich einer dokumentarischen Herkulesaufgabe unterzogen. Sie erzählt ohne Zuckerguss, ohne Interpretation, ohne Firlefanz. Sie schaut nur einfach hin. Immer und immer wieder.