Ach, Sisi…

 

Große Fernsehprojekte entstehen langsam - das liegt in der Natur der Sache und gilt oft selbst dann, wenn alle beteiligten Sender das Projekt von Anfang an wollen. Ich stehe jetzt im Jahr drei meiner persönlichen Auseinandersetzung mit Kaiserin Elisabeth im Auftrag von ORF, ZDF und Arte. Die Dreharbeiten sind abgeschlossen. Und noch immer habe ich das Gefühl: Ich bin mit dieser Frau nicht fertig und werde es auch vielleicht nie sein.

"Sie hat es geschafft, dass noch heute Millionen Menschen zu ihr sagen: Ich kann dir helfen. Weil: Ich versteh dich."

Das hat Elisabeths Ururenkel Leopold Altenburg im Interview zu mir gesagt. Es ist was dran. Kaiserin Elisabeth ist zu Lebzeiten vor allen gesellschaftlichen und höfischen Verpflichtungen geflohen, wo sie nur konnte. Sie hat zurückgezogen gelebt, wollte immer Privatperson sein, nie Kaiserin. In ihren letzten Lebensjahren hat man sie kaum gesehen, und als sie 1898 ermordet wurde, war sie fast vergessen. Heute ist sie eine gigantische Projektionsfläche für Millionen Menschen.

Seit Romy Schneider hat sich beinahe jedes Jahrzehnt seine eigene "Sisi" erschaffen. Das volksnahe süße Mädel der "Sissi"-Filme, die Heroine der weiblichen Emanzipation, die koksende und tätowierte Ikone der Todessehnsucht... immer wieder wurde der Anspruch erhoben, nun endlich die wirklich wahre Wahrheit über Elisabeth zu erzählen. Und immer wieder ist diese "wahre Wahrheit" zu einem neuen Klischee geronnen.

In diesen Dschungel der Klischees eine Bresche zu schlagen, ist Schwerarbeit. Und die Gefahr, dass es jemand besser weiß, ist gerade in Österreich hoch. Elisabeth ist nun mal nationales Kulturgut. Und wie beim Fußball Millionen von Bundestrainern zuschauen, so schaut einem bei Sisi eine ganze Armada von Experten und Hobbyhistorikern auf die Finger, die alles gelesen und zu vielem eine Meinung haben: War sie nun eine Rabenmutter oder nicht? War es Liebe mit Franz Joseph? War die Schwiegermutter wirklich so böse? Lauter Fragen, auf die es keine endgültigen Antworten gibt. Denn sie berühren das Privateste und Intimste. Keiner von uns war dabei. Und das was die Hofdamen, Kammerdiener und Vorleser so berichten, das kann man in Zweifel ziehen und bis zum Sanktnimmerleinstag diskutieren.

Ihre Tragik war, so sagt es die Historikerin Katrin Unterreiner, dass sie trotz all ihrer Talente und Möglichkeiten keinen Sinn im Leben fand. Sie versöhnte durch ihr Eingreifen die Ungarn mit dem Kaiser, sie verzauberte mit ihrer Schönheit griechische Fischer und den Schah von Persien, sie war eine der besten Sportreiterinnen ihrer Zeit, sie schrieb Gedichte und baute Schlösser. Was sie tat, tat sie mit voller Energie. Und mit allem hörte sie irgendwann abrupt auf. Als sei sie ständig auf der Flucht.

Ich denke, ihre Tragik war auch, Repräsentantin einer bröckelnden Ordnung zu sein, deren Ende sie herannahen sah und an die sie nicht mehr glaubte. Eine Tragik, der Elisabeth mit Zynismus begegnete. Sie verachtete ihre Rolle als Kaiserin, spottete über die Hofgesellschaft und die kaiserliche Familie - und nahm dennoch alle Privilegien sebstverständlich in Anspruch. Immer wenn ich geneigt bin, sie für diese Dekadenz zu verurteilen, denke ich daran, dass ich sie nicht beneide. Das erste Kind - Sophie - stirbt mit drei Jahren, der einzige Sohn - Rudolf - begeht Selbstmord, einer der engsten Freunde - Ludwig II. - ertrinkt im Starnberger See. Elisabeth flirtet in ihren Gedichten mit dem Tod, aber sie hat ihm auch oft genug real ins Auge gesehen.

So wie ich staunend und ratlos vor dieser sprunghaften, egozentrischen Kaiserin stehe, so stand auch Alexander Warsberg vor ihr - bei uns gespielt von Alexander Fennon. Der lungenkranke Schöngeist in der Rolle eines k.u.k Beamten ist für mich ein heimlicher Held meines Films. In den 1880ern wurde er zu Sisis Reiseleiter in Griechenland erkoren. Am Anfang fand er sie

"hässlich, alt, spindeldürr aussehend, schlecht angezogen und hatte den Eindruck, nicht eine Närrin, sondern eine Wahnsinnige vor mir zu haben, so dass ich förmlich traurig wurde."

Dann geriet er in ihren Bann. Kurz darauf schreibt er:

"Sie ist eine der bezauberndsten Erscheinungen, die mir im Leben begegnet sind.“

Warsberg verwendete die letzten Monate seines Lebens und seine letzte Energie dafür, einen Palast für Elisabeth zu planen - das Achilleion auf Korfu. Der Bau wurde nach seinem Tod mit Millionen Goldfrancs aus Kaiser Franz Josephs Privatschatulle realisiert. Doch kaum stand das "griechische Zauberschloss" da, interessierte es Sisi schon nicht mehr.

"Unsere Träume sind immer schöner, wenn wir sie nicht verwirklichen."

war ihr lakonischer Kommentar zu dem Prunkbau, der heute zu den Top-Sehenswürdigkeiten Griechenlands zählt. Man kann Sisi für solche Sätze lieben, sie verstehen wollen oder sie verfluchen. Man kann versuchen sie zu analysieren und einzuordnen - aber am nächsten kommt man ihr, wenn man sich anschaut, wie Sunnyi Melles sie spielt. Sie will Sisi nicht vom Sockel stoßen oder dekonstrieren. Sie verkörpert die Poesie, das Unberechenbare, den starken Willen, den Charme dieser Kaiserin.

Einer Frau, mit der man auch nach diesem Film nicht „fertig“ sein wird.

Mein Dokudrama über Kaiserin Elisabeth läuft im Frühjahr 2019 in Universum History auf ORF2.

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